BERNHARD VETTER . DER BLOG

Kann? Muss? Nein!

Gastbeitrag von Julia Rennert | 15.04.2019

Das Leben steckt voller Chancen, die einen Entschluss fordern. Entscheidet man sich gegen eine Handlung, so erlischt die Möglichkeit, man verliert sie unwiederbringlich. Nimmt man die Chance wahr, wird sie zu einem festen Vorhaben, einer Pflicht. An und für sich ist dieser Begriff nicht negativ belegt, eine Zielsetzung – und mag sie nur das bevorstehende Treffen mit ein paar Freunden sein – stabilisiert das Leben, wenn man jedoch die falschen oder zu viele Chancen wahrnimmt, so changiert die Pflicht unterbewusst zum Zwang, der sich durch jeden neuen Impuls von außen verschlimmert. 

Und eben solch ein Impuls ist das „ja“. Mit jeder neuen Möglichkeit, die man nicht von vorn herein ausschließt, wächst der Aktenstapel mit der Aufschrift „das könnte ich machen“ und beginnt, nicht nur den Unentschlossen, sondern auch den viel kleineren Stapel „das werde ich machen“ zu erdrücken. Sagt man ständig nein, so bleibt einem fast nichts; kein Theaterbesuch, kein Mensatreffen, keine Ideenverwirklichung. Bei einem überwiegenden „ja“ bekommt man alles, nur die eigenen Wünsche gehen in der Kompression verloren. Ist es da nicht sinnvoll, ein oder zwei Chancen ziehen zu lassen, unabhängig davon wie wundervoll die Umsetzung gewesen wäre? 

Um einen Prozess der sich anhäufenden Zwänge zu entkommen, halte ich es für wichtig, entschieden „nein“ zu sagen und somit den Ballast der unnützen Möglichkeiten abzuwerfen. Doch worauf kann man verzichten? Und was ist wahrhaft wichtig? Die Grenzen zwischen geliebter Pflicht und Zwang sind bei jedem Menschen verschieden gesetzt und schwer verrückbar. Das bewusste Festsetzen dieser Trennlinie bleibt immer eine Gratwanderung, da wir möglichst viel Schönes erhalten wollen, ohne dass dessen Reiz in der Masse verloren geht. Ist nun die Fahrradtour schöner oder doch der Besuch der neuen Sonderausstellung? Um sich sicher zu sein, dass man das Optimum erreicht, müssen beständig Informationen zu den einzelnen Aktivitäten gesammelt werden, sodass sich ein dynamischer Entscheidungsprozess herausbildet. Und wieder haben wir unseren Aktenstapel der Aufschrift „das könnte ich machen“ und dass er inzwischen sortiert ist, nimmt ihm kein Gramm seines Gewichts. Vielleicht reicht es auch aus, einfach für einen Moment die Augen zu schließen, denn unser Unterbewusstsein weiß oft gut genug, was wir uns zwar zu einer Freude schönreden, wovon wir uns insgeheim jedoch zu distanzieren versuchen. Keineswegs sollte jeder kleinste Zweifel zum Nichtstun führen und eine Hürde ist kein Grund, aus dem Rennen auszusteigen, doch vieles Wichtige ist, wenn man ihm für einen Augenblich die Wichtigkeit aberkennt, nur noch lästig. Und diese Lästigkeiten mit einem gezielten „nein“ aus dem Leben befördern zu können, ist mir einige vertane Möglichkeiten, so verlockend sie doch gewesen wären, wert.